Neulich im Vorraum der Kita:

Mama: Ziehst du mal bitte deine Hose an?
Kind: Nein!
Mama: Wir müssen los, zieh sie doch mal bitte an.
Kind: Nein!

Das ging dann noch eine Weile so weiter.

Ergebnis: Kind zog Hose nicht an und wurde schreiend aus der Kita getragen.

Kind, 4 Jahre

Analysiert man gleich die Eingangsfrage sprachlich, stellt man fest, dass die Mama das Kind eigentlich geradezu zum Nein-Sagen eingeladen hat! Denn „Ziehst du mal bitte deine Hose an?“ war als Frage formuliert, in der Höflichkeitsform. Bittet man höflich um etwas, fragt man in dieser Art, gemäß gesellschaftlicher bzw. sprachlicher Konvention. Im Lauf der kommunikativ-pragmatischen Entwicklung lernen Kinder, dass man diese Höflichkeitsform nicht wörtlich beantworten soll, sondern die Dinge einfach tun soll, wenn man nicht unhöflich sein möchte.

Ein bekannteres Beispiel für eine Höflichkeitsform ist die Frage „Kannst du mir sagen, wie viel Uhr es ist?“. Kinder antworten hier gerne wörtlich mit „ja“ oder „nein“ (abgesehen davon, dass sie die Uhr oft auch einfach noch gar nicht kennen). Später muss man lernen, dass dies eben nicht ausreicht, sondern dass es gesellschaftlich erwartet wird, die Uhrzeit zu sagen.

Kleine Kinder interpretieren Höflichkeitsformen wörtlich

Kleinere Kinder interpretieren die Frage jedoch wörtlich, ohne die kommunikativ implizierte Höflichkeitsform zu bemerken. Sie sind in ihrer Sprachentwicklung noch nicht so weit, diese verstehen zu können, denn erst ab dem Schulalter entwickeln sich kulturell angepasste Höflichkeitsformen (Achhammer, Büttner, Sallat & Spreer 2016, 55)

Im wörtlichen Sinne handelt es sich bei obiger Frage um eine „Entscheidungsfrage„. Diese beantwortet man entweder mit „ja“ oder „nein“. Dabei ist „nein“ ungleich bequemer und interessanter. Eigentlich kann man keinem Kind hier verübeln, wenn es „nein“ sagt! (Kinder lernen übrigens im Spracherwerb immer zuerst das Wort „nein“, und erst später dann „ja“.)

Ehrlicherweise muss man feststellen: Das Kind hat nichts falsch gemacht, eher die Mama!

Was tun? Keine Frage formulieren!

Wenn das Kind keine Wahl haben soll, und etwas Bestimmtes machen soll, sollte man das also auch so kommunizieren:

Mama: Zieh bitte deine Hose an!

Oder dann später noch eindringlicher:

Mama: Lukas, zieh deine Hose an!

Ähnliche Situationen: Nicht als Frage, sondern als höfliche Aufforderung formulieren, oder als Befehl, falls das nicht reicht 😉

Höfliche FrageBessere Formulierung: Aufforderung
Kommst du bitte rein?Komm bitte rein!
Machst du bitte den Fernseher aus? Mach bitte den Fernseher aus!

Und wenn das immer noch nicht reicht?

Dann liegt es nicht an sprachlichen Mitteln der Kommunikation, dann sind andere Techniken von Nöten!

z.B. konsequentes Erziehungsverhalten, Spiegeln, Umlenken, Umgestalten

Aber das ist dann wieder ein eigenes Thema 🙂

Literatur:

Achhammer, B., Büttner, J., Sallat, St., & Spreer, M. (2016): Pratmatische Störungen im Kindes- und Erwachsenenalter. Thieme Verlag, Stuttgart/New York.

Lauffer, H., & Bussmann, H. (2008). Lexikon der Sprachwissenschaft (4th ed.). Stuttgart: Alfred Kröner Verlag

Bibliographisches Institut (Dudenverlag) (2016): Duden – Die Grammatik. 8. Auflage. Mannheim/Wien/Zürich.